Aktualisiert 14.01.2008

Keitelkahn

Heinz Suchhardt

Einführung.
Werner JAEGER ( 1923-1986) war unermüdlich bei der Erforschung vieler Gebiete des historischen Schiffbaues.
Ein besonderer Schwerpunkt seiner Arbeit war die Dokumentation der Segelkähne auf dem Kurischen Haff.

Mit der Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse im Buch
" Fischerkähne auf dem Kurischen Haff"
ist 1995 im Verlag für Regionalgeschichte
unter ISBN: 3-89534-160-6 mit über 600 Zeichnungen und 80 historischen Fotografien eine spezielle ostpreußische Schifffahrtgeschichte dokumentiert worden, die in völlige Vergessenheit zu versinken drohte.

Das Kurische Haff war mit 98 km Länge und Breiten bis 3,5 km das größte an der damaligen preußischen Küste. Bis zu 600 große Fischerkähne mit mehr als 1000 Männern waren darin im Fischfang beschäftigt.
Die Fangnetz-Varianten gaben den Kähnen die speziellen Namen
"Braddenkahn"- kleiner Bautyp,
"Kurrenkahn"- mittelgroßer Bautyp, fischten zu zweit,
"Keitelkahn"- größter Bautyp, fischte allein, (rund 200 Kähne).

Bis 1944 hatte niemand einen dieser Kahntypen aufgemessen und mit all seinen Feinheiten nach dem Original gezeichnet.
Nach 1944 hat kein Kahn die Kriegswirren überstanden.
Keinem Kahn war aus dem vereisten Haff eine Flucht in Richtung Westen geglückt.

So konnte JAEGER nur nach alten Fotografien in Verbindung mit bekannten Maßen,
wie Personen-Körpergrößen, Segelbahnbreiten u.s.w.
seine Zeichnungen erstellen und mit vermutbaren Linien ergänzen.

Heimatvertriebene Fischer und Kahnbauer waren als Informanten bei der Verfeinerung der Kahntypen-Katalogisierung behilflich.
Sie schilderten auch Fanggeräte, Fangmethoden, Takelungen, handwerkliche Besonderheiten beim Kahnbau, Lebensgewohnheiten, soziale und politische Situationen.

Das Buch weckte in mir Kindheitserinnerungen an Ferien bei Verwandten am Haff.
Sie veranlaßten mich auch, einen
Keitelkahn vom Typ C4 - 36 Fuß von 1925
nach JAEGER-Daten
im Maßstab 1:20, in "Zingelbauweise" als Modell mit Takelung, Besegelung, Fanggeräten und Besatzung zu erstellen.

Einstimmung durch Reiseprospekt von 1930.


Zwischen Meer und Haff.

  (Text aus dem Prospekt)

Nordöstlich vom Ostseebad Cranz erstreckt sich die Kurische Nehrung über 98 km bis zum Memeler Tief.
Einhalb bis dreieinhalb Kilometer breit, trennt sie das Süßwasser des Kurischen Haffs vom Meer. Die Gewalt der Wellen und der vorherrschende Seewind bestimmten ihre Gestalt. Hinter der grünen Vordüne am engen Seestrand dehnt sich die flache Palve, dem Vieh der Nehrungsbewohner kaum kärgliche Weide bietend.

Regellos vom Wind geformte Sandhügel, „Kupsten" genannt, unterbrechen ihre Einförmigkeit. Schön in seiner Urwüchsigkeit ist der über große Abschnitte reichende Kiefernwald, der seine zerzausten Kronen über die Vordüne erhebt. Sumpfige Stellen mit Laubholz bilden, dort ideale Hegereviere für den Elch, den König des ostpreußischen Waldes, Aus der „Palve" steigen breit und bis zu 65 m hoch die Haffdünen in fast ununterbrochener Hügelkette an.

Als Wanderdünen in leuchtendem Weiß, unter tiefblauem Himmel strahlend, sind sie die Wahrzeichen der Nehrung. Bewaldet oder aufgeforstet, umrahmen sie schützend die Dörfer, die hinter ihnen auf schmalem Vorland liegen. Von den größten unter diesen, die durch gute Unterkunftsstätten für den Fremdenverkehr gerüstet sind, ist Rossitten durch Segelflugrekorde und Vogelzugexperimente weltbekannt. Zwischen Pillkoppen auf deutschem und Nidden auf memelländischem Gebiet liegen die höchsten Wanderdünen Europas.

Nidden mit seiner Jugendherberge sowie das beliebte hochwaldreiche Schwarzort sind mit Bädervisum auf den gleichen Dampferlinien ebenso bequem wie die deutschen Dörfer zu erreichen. Die als Landschaft geschützte Nehrung ist ein ideales Wander-Gebiet und bis Sarkau für Kraftfahrzeuge freigegeben. Flora und Fauna dieser großen Vogelzugstraße fesseln den Naturfreund. Die einzigartige Wanderdünenwelt in ihrer erhabenen Weite und Formenfülle birgt tiefsten Zauber, den jeder verspürt. See und Sonne, Wald und Düne, stille Einsamkeit und beglückende Naturverbundenheit lassen Seele und Körper genesen.

Schon Wilhelm v. Humboldt kennzeichnete treffend diese Landschaft: „Die Kurische Nehrung ist so merkwürdig, dass man sie eigentlich ebenso gut wie Spanien und Italien gesehen haben muss, wenn einem nicht ein wundersames Bild in der Seele fehlen soll."








Technische Daten des Modellbaues.
Das Modell des Keitelkahns ist exakt nach den von Jaeger beschriebenen
historischen Arbeitsmethoden und Vorgaben des ostpreußischen Kahnbaus
erstellt worden.

Nach den Maßen der Figur 77 auf Seite 98 des JAEGER-Buches wurden
von mir Zeichnungen im Maßstab 1 : 20 erstellt.

Beispiel:.


Dabei wurden nach Umrechnung der Fuß-Zollmaße auf der Buchseite 16
und der Maßangabe in der Figur 50 der Buchseite 63
-- 1 ostpreußischer Fuß mit 314 mm
-- 1 ostpreußischer Zoll mit 26,16 mm
ermittelt.
So ergaben sich für den Originalkahn und das Modell 1 : 20
folgende metrische Abmessungen:
Länge im Boden .................................. 11,300 m zu 56,52 cm
Länge zwischen den Loten Bug und Heck. 12,071 m zu 60,36 cm
Länge in der Wasserlinie........................11,250 m zu 56,25 cm
Länge des Ruders...................................1,250 m zu ..6,25 cm
Breite Hauptspant oben.......................... 3,575 m zu 17,88 cm
Breite Hauptspant unten..........................3,000 m zu 15,00 cm
Breite mittschiffs von Bord zu Bord............3,600 m zu 18,00 cm
Höhe Bordwand am Hauptspant.................1,650 m zu .8,25 cm
Höhe Boden bis Mastspitze.....................11,550 m zu 57,75 cm
Höhe des Mastes...................................11,250 m zu 56,25 cm
Höhe am Bug....................................... . 2,700 m zu 13,50 cm
Höhe am Heck........................................ 1,800 m zu .9,00 cm
größter Mastdurchmesser......................... 0,288 m zu 1,44 cm
Mastdurchmesser im Top.......................... 0,210 m zu 1,05 cm
Dicke Bodenplanke..................................... 0,130 m zu .0,65 cm
Breite Bodenplanke.................................... 0,392 m zu..1,96 cm
größte Dicke der Bordplanken.....................0,066 m zu..0,33 cm
kleinste Dicke der Bordplanken...................0,052 m zu..0,26 cm
Höhen der Bordplanken bis........................ 0,540 m zu..2,70 cm

Material.

Bodenplanken : Eiche
Bordplanken: Eiche
Mast: Buche
Kniee: Eiche
Bodenbretter: Fichte
Verschläge: Fichte
Ruder: Fichte, Eisenbeschläge
Takelung: Drahtseil, Hanftau, Kette, Rundeisen
Besegelung: grün gefärbtes Leinen
Keitel: Fichte, Ketten, Hanftau
Spill: Eiche
Figuren: Lindenholz
Beschläge: Bandeisen,geschwärzt
Bauweise:

Normalerweise ist es üblich, kraweel (glattbordig- Planken Stoß auf Stoß) gebaute
Schiffe dicht mit Spanten zu versehen und die Planken der Außenhaut dann dicht
genagelt auf den Spanten zu befestigen.

Bei den glattbordig gebauten Kähnen des Kurischen Haffs gab es kein dicht gelegtes
Spantwerk. Es wurde zur Erzielung einer festen und dichten Außenhaut eine andere
Methode angewendet, das sogenannte "Zingeln".
Hierbei wurden Boden- und Bordplanken durch Nägel, die durch die Plankennähte
geschlagen wurden miteinander verbunden.
Durch das Zingeln wurde die Längsreibung der Planken in den Nähten bei Wellengang
(infolge Durchbiegung des Kahnkörpers nach oben und unten) weitgehend verhindert.


Der Kahnboden wurde nur von oben (innen) gezingelt.
Die Bordplanken (Kränze) wurden nur von oben, aber immer innen und außen gezingelt,
dabei die innere Reihe mittig versetzt zur äußeren Reihe.
Die vier Schwellen und Kniee wurden von unten durch den Kahnboden sowie von außen durch die Bordplanken genagelt.


Zingelung der Bordplanken am Modell. Zingelnägel waren an der Spitze beitelförmig
ausgeschmiedet. Die entstandene Schneide wurde beim Einschlagen quer zur Faser
angesetzt. Hierbei wurden die Holzfasern durchschnitten, und es wurde ein Aufspalten
des Holzes durch Aufkeilen zwischen den Fasern verhindert.



Mit freundlicher Genehmigung von Frau Friedel Jaeger 2003
können hier zwei historische Fotos (A.O.Schmidt, Ostseebad Cranz, vor 1940)
aus dem Buch von JAEGER " Fischerkähne auf dem Kurischen Haff" eingefügt werden.

Sie zeigen den Original- Keitelkahn Gilge Nr 60 des Eigners Fischermeister Gustav Lascheit.
Für den Modellbau im Maßstab 1:20 waren diese Fotos eine wertvolle Hilfe.
Auf den Bildern hat der Kahn neben der Fock auch den "Brummer" gesetzt, was nur bei Keitelkähnen üblich war.


Bilder vom Modell des " 36 Fuß-Keitelkahn Gilge Nr 60"
Maßstab 1 : 20.


Gesamtansicht mit Keitelgeschirr.
Am Steuer der Fischereimeister Onkel Adam.
Vor dem Mast der starke Knecht Edwin.
Der Knabe (Autor) fuhr als Feriengast mit.


Masttop mit Blick auf Wimpel, Mastring, Blöcke mit Messingrollen, Großsegel mit Gaffeloberliek und Fallen, Fock mit Fall,
Brummerfall, Stage aus Eisendraht.

Typisch für die Haffkähne wurden seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die „Wimpel“.
Sie dienten neben Feststellung der Windrichtung als Kennzeichnung des Herkunftsortes .
Hinter dem Sprieß wurden bei den Wimpeln so genannte "Einzelstücke" früher "Kirchen" genannt,
aufgestellt die Auskunft über den Kahneigner gaben. Als Volkskunst wurden diese aus Lindenholz
oder Espe gefertigt und maßen 35 x 30 cm. Sie waren durch bunte Farben und Schnitzereien
(Adler, Anker, Elch, Herz, Radkreuz, Schiff) ausgeschmückt und „erzählten“ in Bildern ganze
Geschichten über die Familie des Eigentümers.

Als Geburtsstunde der Wimpel gilt das Jahr 1844. Die Kontrolle der zahlreichen Fischerboote auf dem Haff und die
Einhaltung der den Fischerorten zugewiesenen Fischereirechte erwies sich als kaum noch möglich.
Die Fischereiverwaltung erließ darauf hin eine Verordnung, nach der alle Boote (nicht nur die Fischerboote)
ein weithin sichtbares Erkennungszeichen zu führen hatten. Der Wimpel am Mast musste mindesten zwei Fuß lang
und einen Fuß hoch sein. Jeder Ort am Haff erhielt eine bestimmte Flagge und jede Region eine bestimmte Farbe
zugewiesen. Zudem konnte man an der Farbe des Wimpelschweifs den Verwendungszweck des Bootes erkennen.

Bugansicht

Heckansicht mit Steuer

Backbordseite

Steuerbordseite mit Schwert

Bugansicht

Vorderkahn mit geschlossenem Boden, Vorderverschlag mit geöffneter linker Tür, Spill, Mastbank.

Hinterkahn mit geschlossenem Fischraum.

Blick auf die Mastbank. Im Vordergrund die Schleifstange zum Seitenwechsel des Schwertes.

Gesamter Fischraum und Skauer geöffnet.


Hinterer Fischraum und Tür in den Hinterverschlag ( Materialdepot) geöffnet.
Rechts ist der Backbord-"Wassergang" (Wassersammelrinne, die mit der Holzschaufel geleert wurde) zu sehen.

Hinterer Verschlag und Bodenbretter im Steuerstand geöffnet.


Blick in den Vorderverschlag bei geöffneten Vorderboden.
Eine sehr wichtige Einrichtung, denn die Keitelfischer blieben oft eine ganze Woche zum Fang auf dem Haff.
Er diente als Schlafraum, Kochstelle, zur Aufbewahrung von Brennholz, zur Aufbewahrung der Lebensmittel.
Im Hintergrund ist die Mastbefestigung zu sehen.


Blick auf Befestigung Schwert, Drahtseilstag, Vorderknie, Ofenrohr, rechte geschlossene Tür des Vorderverschlages.

Blick auf das Spill, im Verschlag ist eine Schlafstelle zu erkennen.

^
Ihr Browser ist veraltet!

Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser, um diese Website korrekt darzustellen.

Den Browser jetzt aktualisieren×