Aktualisiert 08.02.2004

Boote und Schiffe im Amazonas-Gebiet

W. Eberhard Falck

Aus Anlass einer Dienstreise hatte ich im Jahr 2002 Gelegenheit, mich einige Tage im Amazonas-Gebiet aufzuhalten und dort auch verschiedene Boote und Schiffe zu photographieren. Man sollte meinen, dass im Amazonasgebiet, wie in vielen anderen Entwicklungsländern auch, moderne Werkstoffe und (semi-)industrielle Fertigung den Baustoff Holz verdrängt haben. Holz ist dort immer noch (trotz des Schwinden des Regenwaldes) das meistverwendete Baumaterial für kleine und mittlere Boote und Schiffe.

Zentral-Amazonien

Geht man in Manaus hinunter an den Porto Flutuante, den schwimmenden Hafen, der einst von Eiffel in Paris entworfen, in Europa gebaut und dann zerlegt hierher gebracht wurde, so stellt man fest, daß die meisten der dort anlegenden Boote aus Holz gebaut sind.

Regionale Verkehrsboote am "schwimmenden Hafen" von Manaus

Regionales Verkehrsboot auf dem Weg nach Manaus

Diese dieselgetriebenen Boote vermitteln den Personenverkehr mit den kleineren und größeren Orten stromab und stromauf von Manaus.

Viehtransporter unterhalb von Manaus

Es gibt auch Varianten die zum Transport von Rindern dienen, die auf den Lichtungen des Regenwaldes gehalten werden.

Viehtransporter unterhalb von Manaus

Schubboot und Viehleichter auf einem Seitenarm

Die verschiedenen Schlepper sind ebenfalls aus Holz gebaut. Entweder sind sie als Schubboot eingerichtet, oder werden längsseits an die Leichter usw. gelascht. In letzterer Variante werden sie auch als Personen- und Fahrzeugfähren gebraucht.

Schubboote und Leichterfähre (Vordergrund)

Grundsätzlich scheinen diese Boote alle ähnlich gebaut zu sein: auf einem sehr flachgehenden Rumpf mit scharfem Vor- und Achterschiff bei sehr völligem Hauptspant erheben sich luftige Aufbauten, die an die der alten Missippidampfer erinnern.

Die Überreste eines regionalen Verkehrsbootes im Dschungel

Sonnendeck eines regionalen Verkehrsbootes, man beachte den Wassertank auf dem Verdeck.

Meist ist ein Oberdeck vorhanden und es läuft ein solides Dach von vorn bis achtern durch, um Schutz vor Sonne und Regen zu bieten. Auf diesem Dach ist häufig ein Behälter montiert, der der Wasserversorgung dient.

Im Steuerhaus eines regionalen Verkehrsbootes

Für den Bau wird durchgängig Holz verwendet. Ob eiserne Knie o.ä. verwendet werden, konnte ich leider nicht feststellen. Jedenfalls scheint es kein eisernes Sprengwerk zu geben, so wie es auf anderen flachgehenden Flussschiffen verwendet wurde.
Vorn befindet sich ein kleines Steuerhaus mit einem ornamentalen, gusseisernen Rahmen für das Rad und ein paar Kontrollinstrumenten für die Maschine.

Hauptdeck eines regionalen Verkehrsbootes, Blick nach achtern

Am Heck befindet sich ein kleiner geschlossener Aufbau, der eine Toilette, die Kombüse und wohl auch Aufbewahrungsschapps enthält.

Die Besatzung lebt im übrigen im Freien. Geschlafen wird, wenn nicht an Land, in Hängematten die irgendwo zwischen zwei Balken der Decksaufbauten aufgehängt werden. Dies ist auch die Empfehlung die heute noch Flussreisenden gegeben wird. Der Antrieb erfolgt offenbar über einen feststehenden Propeller. Um rückwärts zu gehen wird die Maschine umgesteuert. Die Maschine ist durch eine Luke im Hauptdeck zugänglich.

Leider konnte ich keine Werft besuchen, mein einheimischer Führer erzählte mir aber, dass es eine Tagesreise stromauf von Manaus eine Holzwerft gäbe. Gemessen an der Zahl der hölzernen Schiffe muss es aber noch eine Menge Holzwerften, auch für Reparaturen, im Amazonasgebiet geben.

Der Fluss und seine vielen Seitenarme stellen nach wie vor die wichtigsten Verkehrsverbindungen im nahen und mittleren Bereich dar. Wegen der Unwegsamkeit des Terrains und der schwer auf Dauer einzudämmenden Vegetation gibt es außerhalb der Orte kaum Straßen. Folglich sind die Verkehrsverhältnisse während der Regenzeit (unser Sommerhalbjahr) wesentlich besser, als während der Trockenzeit, wenn der Spiegel des Amazonas um nahezu 20 m tiefer liegt (daher der Porto Flutuante in Manaus !). Dann müssen die Bewohner kleinerer Ortschaften an Nebenflüssen oft kilometerweit bis zum nächsten schiffbaren Rinnsal laufen.

Das Verkehrsmittel der Kinder im Dschungel

Während der Zeiten hohen Wasserstandes bewegt sich Alles auf dem Wasser. Die Kinder spielen dort und paddeln mit dem Kanu in die Schule.


Natürlich dienen die Boote auch zum Fischen. Dabei werden die Kanus, wie mir mein Indioführer erzählte, im Dschungel auf den kleineren Seitenarmen vorne sitzend gepaddelt, um Hindernisse rechtzeitig erkennen zu können. Falls sich ein Kanu auf den eigentlichen Amazonas hinaus wagt, wird es im Heck sitzend gepaddelt.

Vergleicht man die wenigen Kanus, die ich gesehen habe mit der spärlichen Literatur (vgl. HARTMANN, 1984, und Literaturangaben darin), die es zu diesem Thema gibt, so muss man zum Schluss kommen, dass nicht viel von der ursprünglichen Bootsbautradition erhalten ist. Aber auch schon FRIEDERICI (1907) bemerkte in seiner Auswertung der seinerzeit vorhanden Literatur, dass es offenbar schon bald nach dem Erscheinen der Europäer in Südamerika zu einer Veränderung der Bootsbaumethoden kam.

Zwei grundsätzliche Bootstypen bestanden, wie in Gebieten mit ähnlichen Ressourcen, im Amazonasbecken nebeneinander: der Einbaum und das Rindenkanu. Rindenkanus habe ich den relativ 'zivilisierten' Gebieten, die ich besucht habe keine zu Gesicht bekommen. Die Kanus die ich gesehen habe, sind wohl alle dem Typ des 'aufgehöhten Einbaumes' zuzuordnen (vgl. auch GREENHILL& MORRISON, 1995).
Dabei ist es ohne genauere Untersuchung schwer zu entscheiden, ob das Rückgrat des Bootes ein ausgeweiteter Einbaum ist (Abb. unten links) oder eine gesägte Planke (Abb. unten rechts). In beiden Fällen sind Planken aufgesetzt. Außer Bänken, besitzt das Kanu keine weiteren inneren Strukturen. Ohne den Herstellungsvorgang zu kennen, ist auch nicht zu entscheiden, ob diese Bänke eine strukturelle Funktion haben, d.h. vor allem den Einbaum 'offen' zu halten (vgl. HARTMANN, 1984).

Ein mit Planken aufgehöhter Einbaum(?) im Dschungel östlich von Manaus

Ein Plankenboot(?) im Dschungel östlich von Manaus

Belém

Fischerboote im alten Hafen von Belém

Streng genommen liegt Belém nicht am Amazonas, aber es liegt immerhin in seinem Einzugsgebiet. Aus maritimer Sicht ist es vor allem wegen seiner altertümlich anmutenden, seegehenden Fischerboote.

Fischerboote am Kai des Mercado Ver-o-Peso (einer anderen Eiffel-Konstruktion) in Belém.

Die Rumpfform erinnert an europäische Schiffe des 16. Jh. oder an arabische Dhaus, wobei diese äußere Verwandtschaft nicht ganz zufällig sein dürfte und in beiden Fällen dem portugiesischen Einfluss zuzuschreiben ist. Zu zeitgenössischen portugiesischen Booten besteht allerdings keine Ähnlichkeit (vgl. GOMES, 1997). Die Heckaufbauten erinnern wiederum eher an die Flussschiffe des Amazonas.

Fischerboote in Belém

Der Rumpf weist insgesamt scharfe Wasserlinien und einen steilen, geraden Vorsteven auf. Das Deck wird von einer Reling mit schön gedrechselten Säulen eingefasst.

Abschließend sei noch bemerkt, dass ich ein charakteristisches Wasserfahrzeug Brasiliens, das jeder Tourist z.B. am Strand von Recife zu sehen bekommt, übergangen habe: die Jangada. Sie ist eigentlich ein Floß. Wohl wird sie auch auf dem Mündungstrichter des Amazonas gebraucht, ist aber wohl vor allem ein Fahrzeug der Küstenfischerei.

Literatur:

Leider gibt es nur wenig brauchbare Literatur zu den Booten und Schiffen Brasiliens. Das einzige rezente Buch zu diesem Thema war zwar im Laden des kleinen Marinemuseums in Salvador de Bahia ausgestellt (2002), aber nicht zu kaufen, weil vergriffen.

CAMARA, A.A. (1888): Ensaio sobre as construções navaes indigenas do Brasil.- Rio de Janeiro). (zitiert in FRIEDERICI, 1907).

FRIEDERICI, G. (1907): Die Schiffahrt der Indianer.- 130 S., Studien und Forschungen zur Menschen- und Völkerkunde, Stuttgart (Verlag von Strecker & Schröder), Nachdruck bei Horst Hamecher, Kassel)

GOMES, T. (1997): Embarcações Portuguesas - Portuguese Boats.- 121 S., Lisboa (Edições Inapa).

GREENHILL, B., MORRISON, J. (1995): The Archaeology of Boats & Ships - An Introduction.- 288 S., London (Conway Maritime Press).

HARTMANN, G. (1984): Boote aus dem übrigen Südamerika.- S. 237-252 in: KOCH, G. [Hrsg.] Boote aus aller Welt - Katalog der Ausstellung 30.01.-05.05.1985, Berlin-Dahlem, Berlin (SMPK/Frölich & Kaufmann).

ROOP, W.P. (1935): Watercraft in Amazonia.- Woobury, N.J. (gelistet in: NATIONAL MARITIME MUSEUM [Hrsg.] (1971?): The Development of the Boat - A Select Bibliography.- 120 S., Greenwich (National Maritime Museum).

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